Ansichten-2

Frans Hogenberg, in: Braun/Hogenberg,  Civitates Orbis Terrarum, Amsterdam und Köln 1572 > Mehr

Ansichten von Kassel - Einblicke in die Geschichte der Stadt

Der altkolorierte Kupferstich von 1572 gehört zur Serie von 230 Drucken, die Georg Braun als Herausgeber und Frans Hogenberg als Zeichner und Stecher ab 1572 von Köln aus vertrieben haben. Hogenbergs Grafik ist fein, also präzise ausgeführt und perspektivisch ausgerichtet. Das Bild erweckt sogar etwas den Eindruck von Dreidimensionalität im weiten Gesichtsfeld, die in die Breite gezogene Sicht auf eine Stadt: Panorama.
Mehr zum Kupferstich von 1572

Panorama-Darstellungen sind von einem seitlichen Punkt oder von oben aus angelegte perspektivische Aufnahmen von Orten, Landschaften, Ereignissen. Die hier im Kapitel vorgestellten Ansichten, Veduten, Prospekte, Blicke aus der Vogelschau und Bildkarten spiegeln die Entwicklung von Techniken der Geodäsie, also der Ausmessung und Abbildung der Landschaften  (Erdoberfläche), der Messmethoden, der Berechnungsarten und der Ordnungssysteme (z. B. die Koordinaten). Es ist klar, dass sich die Genauigkeit im Erfassen und die Detaillierungs-Möglichkeiten in den Abbildungen vom 16. Jahrhundert bis heute verändert haben. Einzelne alte Ansichten erscheinen aus heutiger Sicht sogar ungenau und perspektivisch schief. Das liegt manchmal daran, dass Herausgeber von Stadtansichten die brillanten Vorlagen von Künstlern kopieren lassen. Die Zeichner und Stecher waren wohl niemals vor Ort. So erscheint um 1600 beispielsweise im Städtebuch von Saur eine sehr grob umgesetzte Kopie des Stiches von Hogenberg. 

Dennoch sind die Panoramen zumeist schöne und aussagekräftige Ausgangspunkte, um die Entwicklung des Kasseler Stadtbildes nachzuvollziehen und zu erforschen. Nicht zufällig wird die Residenz gern von Süd-Osten aus betrachtet. Die Silhouette auf der quer verlaufenden Anhöhe hebt sich, im Weitwinkel und Panorama-Blick erfasst, deutlich von Fluss und Ebene ab.

Dieses Vorfeld ist ebenso interessant für Betrachtungen und Forschungen zur Stadtgeschichte. Die Gärten und Felder sind eingezäunt, Wege schlängeln sich hindurch. Personen sind eingezeichnet, manchmal so, also würden sie spazieren gehen. Dargestellt auf einem Stich aus einer Zeit, in der es das Spa
tzieren begrifflich und in unserer Bedeutung heute noch gar nicht gibt. Oder die Personen auf dem berühmten Stich von G. W. Weise 1782, J. H. Tischbein hat die Vorlage geschaffen. Auf der Zeichnung ist deutlich zu erkennen, wie ein Pferd einen Fuldakahn zieht, geführt von einer Person - treideln flussabwärts. Im Vordergrund erkennen wir zwei Reiter, die anscheinend von der Falkenjagd zurückkommen. Beide Szenen sind mehr als ein Ausschmücken der Fläche vor der Silhouette der Stadt, wie der Begriff Staffage-Figuren abwertend nahelegt. Mit meinen Untersuchungen zur Geschichte des Spazierengehens und auch hier bei den Untersuchungen und tiefen Bildbeschreibungen zu den Ansichten meine ich nachweisen zu können, dass Personendarstellungen und die Szenen vor der Stadt-Silhouette oft sehr aufschlussreich für die Einschätzung des Bildinhalts sind.   

Einige Grafiken betonen die Personendarstellung ausdrücklich, manchmal sichtbar stark im Strich. Es sind emblematische Darstellungen, also Szenen, die zu deuten sind, beispielsweise auf Grafiken aus dem "Politischen Schatzkästlein" (ca. 1620). Daraus ist ein Stich mit allegorischem Inhalt und der Kasseler Stadtansicht im Hintergrund hier in der  Sammlung enthalten. Die fein ausgearbeitete Silhouette Cassels und davor, auf die Ansicht gesetzt, begrüßen sich zwei großformatig platzierte Personen. Der eine übergibt einen Ritterhelm und ein Buch, ein Sinnspruch erklärt die Bedeutung dieser Handlung. Mehr

Ganz anders angelegt die Szenerie auf dem ebenfalls hier im Kapitel aufgenommenen Gemälde von 1650. Es zeigt eine Reisegesellschaft, die die Stadt verlassen hat. Sie ist auf der Nürnberger-Straße nach Süden unterwegs. Der Maler blickt von einem erhöhten Platz aus auf das Geschehen und die Stadt im Hintergrund. Ein gelungener Kunstgriff, um die Wirkung des im Vordergrund festgehaltenen Ereignisses zu steigern. Mehr
Die topografische Gestalt der Hänge südlich und westlich der Stadt mag grob ausgeführt sein, für die Untersuchung im historischen Vergleich ist die Darstellung aber von hohem Wert, sehr interessant im Vergleich zur Darstellung auf dem Stich von Frans Hogenberg. Beide Male vermittelt die Landschaft im Hintergrund und die Anordnung der Befestigungsanlagen auf Hügeln einen Einblick in die Topografie vor 400 Jahren, die wir heute gemildert als den zusammenhängenden Auehang wahrnehmen.

Mit der Aufnahme in die Website des Geschichtsvereins werbe ich für ein Interesse an der
Geschichte Kassels in der langen Dauer. Die Zusammenstellung könnte zu Forschungen veranlassen, beispielsweise angelegt auf den präzisen Vergleich der Silhouetten einiger ausgewählter Exponate. Die Abbildungen und die jeweiligen Erläuterungen sollen also Material und Ideengeber für weitere Untersuchungen sein. Alle Einzelstücke lassen sich in hoher Auflösung aufrufen und somit in vielen Details betrachten. Dieses Fokussieren durch Vergrößern erleichtert es, tiefe Beschreibungen anzulegen und von da aus Vergleiche aufzubauen. Eine Studie steht noch aus, die die Geschichte des Kasseler Stadtbildes zusammen mit den topografischen Veränderungen erfasst.

Die Einzelstücke sind zum großen Teil Scans von Originalen aus meiner Sammlung. Einige Abbildungen habe ich als Digitalisate im Fundus öffentlicher Einrichtungen (Universität, Archiv...) entdeckt. Einige Originale konnte ich einsehen und abfotografieren. Bei allen Stücken verweise ich auf Fundort und Signatur (Stadtmuseum, Stadtarchiv, Universitätsbibliothek...).

Jürgen Fischer, Oktober 2023 

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