Kunsthaus und Modellhaus 17. / 18. Jhdt. 2

Innovationen um 1700
Kunsthaus und Modellhaus
Einschätzung

Zwei Vorträge               Plan und Prospekt

Es ist die Zeit Landgraf Karls. Er regiert Hessen-Kassel von 1670 bis 1730. Die Zerstörungen und Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648) haben das Land insgesamt und besonders die Dörfer betroffen. Laut einer Zählung von 1731 leben in Kassel 15 645 Personen (M. Lasch, S. 86; O. Dascher, S. 161 - siehe unten).

Die Landgrafschaft ist um 1580 dünn besiedelt: Circa 170 000 Menschen in den Stammlanden Kassel, Marburg, Rotenburg und in den Regionen um Rinteln, Plesse, Witzenhausen, Ziegenhain, Melsungen, Sontra, Diez, Katzenelnbogen, Schmalkalden. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges geht die Einwohnerzahl geschätzt auf unter 100 000 zurück. Laut Erhebung im Jahr 1740 erhöht sich die Zahl auf circa 243 000 Einwohner (O. Dascher, s. unten). Auch weil Hersfeld und Hanau-Münzenberg  hinzugekommen sind.

Wie gelingt es den um 1700 geschätzt 200 000 Einwohnern der Landgrafschaft, wie gelingt es Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik mit Auftrag, Aufforderung, Weisung und Anordnung durch Landgraf Karl, den Staat Hessen-Kassel zu entwickeln und als ein anerkanntes und einflussreiches Fürstentum im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation abzusichern?

Die Projekte und die konkreten Initiativen Landgraf Karls leiten eine Entwicklung Hessen-Kassels ein, die die Eigenständigkeit der Region nicht nur absichert, sondern auch zum Ausgangspunkt für Innovationen, technischen Fortschritt und  wissenschaftliche Forschung vor Ort wird.

Wirtschaftsförderung und Ansiedlungspolitik begründen einen relativen Wohlstand.
Die stehende Armee und da
s Programm für Repräsentativ-Bauten sichern die Eigenständigkeit der kleinen Landgrafschaft im politischen Umfeld.

Der Homan Plan von 1742 eignet sich dazu, diese Einschätzung zu veranschaulichen. 
Er ist mit der Herausgabe 1742 auf die Zeit 12 Jahre nach Karls Tod datiert. Das hier abgebildete Blatt ist die erste  Drucklegung, nachträglich koloriert. Eine bearbeitete zweite Druck-Ausgabe mit dem Vermerk "revidiert von Herrn Leopold Ingenieur-Hauptmann", notiert auf dem Aufsatz mit der Maßstabsangabe unten links auf dem Plan, ist ebenfalls mit 1742 datiert. Ein Vergleich lässt aber keine Änderungen erkennen.

Es ist eine Momentaufnahme der Residenzstadt Kassel am Ende der Regierungszeit Landgraf Karls.

Landgraf Karl regiert als absolutistischer Herrscher. Seine Politik ist zielstrebig auf die Erhöhung der Landgrafschaft als Kurfürstentum aus. Auf der Seite des Kaisers positioniert er sich als Gegenspieler zu Ludwig XIV. und damit den Ansprüchen des französischen Königs auf die linksrheinischen Gebiete. Karls Armee verhindert die Eroberung der so wichtigen und ertragreichen hessischen Burg Rheinfels (Katzenelnbogen). Die Einkünfte aus dem Rheinzoll teilen sich Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt.


Die Residenzstadt Kassel ist Ende des 17. Jahrhunderts - nach dem Schleifen der Befestigungsanlagen in Folge der Niederlage Landgraf Philipps im Schmalkaldischen Krieg 1547 - erneut mit modernen Bastionen, mit Wall und Graben gesichert. Der 30 Meter breite Zeugmantel, im Bild-Ausschnitt oben als Nr. 6 eingezeichnet, signalisiert höchste Verteidigungskraft. Hessen-Kassel ist ein armierter Staat, Landgraf Karl hat ein stehendes Heer eingerichtet. Bestens ausgebildete und gut bezahlte Soldaten sichern die von der Fläche und der Einwohnerzahl her kleine Landgrafschaft ab.

Die Truppen-Vermietung ist eine bedeutende Einnahmequelle.
Das allein erklärt aber nicht die herausragende Entwicklung Hessen-Kassels. Und zudem, die Begriffe Soldatenverkauf oder Soldatenhandel verkennen und verfälschen die Subsidienpolitik Landgraf Karls und weiterer deutscher Staaten. Die Einnahmen investiert der Fürst in die Landgrafschaft, und er sichert mit gutem Sold auch die im Militär dienenden Männer und deren Familien ab. Darauf verweist (auch rückblickend) die Historikerin Christine Braun in ihrer Untersuchung "Die Entstehung des Mythos vom Soldatenhandel 1776 - 1813. Darmstadt und Marburg 2018".

Im Ausschnitt aus dem Prospect im Homan Plan von 1742 sind das Kunsthaus und das Modellhaus markiert, hier mittig mit den Ziffern 10 und 11 versehen. Der Homan Plan von 1742 mit der unten eingesetzten Vedute bildet prägnant die Zeit Landgraf Karls ab.
Kassel ist eine Festung. Die Einwohner leben geschützt und zugleich beengt in einer Residenzstadt. Viele Bürger haben Parzellen außerhalb gepachtet. Die Versorgung ist damit teilweise abgesichert. Ebenso prägen geschätzt dreißig Bauernstellen innerhalb der Mauern das Stadtbild. Morgens müssen Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen und das Federvieh zu den Weiden im Osten geführt werden - und abends zurück. Verkehrsstau auf der alten Fuldabrücke ist Alltag.
Zwei auch räumlich markante Flächen außerhalb der Befestigungsanlagen fallen auf. Die geordnete Planung und Gründung der Oberneustadt, ein Angebot für Flüchtlinge aus Frankreich und Signal an die Bevölkerung, die gegen die Unterbringung der zahlreichen Hugenotten in den engen Quartieren der alten Stadt protestiert hatte. Die Neugründung ist logistisch in die Verteidigung Kassels einbezogen, die Weinbergschanze verdeutlicht das. Und dann fallen drei Gartenanlagen auf. Zuerst die den Blick einfangende Gestaltung der Karlsaue, sowohl von der Fläche her als auch durch den wohlgeordnet angelegten herrschaftlichen Garten. Das ist ein Sinnbild für den Anspruch des absoluten Herrschers, eine Aue, also die Natur zu bändigen und schön herzurichten.
Erst Karls Enkel, Landgraf Friedrich II. , macht die Karlsaue für die Bevölkerung zugänglich. Er öffnet die Stadt, durch das Schleifen der Befestigungswerke (ab 1766), die Anlage des Friedrichsplatzes als Verbindung zur Oberneustadt. Das ist die Aufforderung, von dort hinaus in den herrschaftlichen Garten zu gehen. Das deutet sich 50 Jahre zuvor durchaus schon an. 

Manfred Lasch: Untersuchungen über Bevölkerung und Wirtschaft der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Kassel vom 30jährigen Krieg bis zum Tode Landgraf Karls 1730. Kassel 1969
Ottfried Dascher:
Das Textilgewerbe in Hessen Kassel vom 16. bis 19. Jahrhundert. Marburg 1968

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